Presse 2022
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Wenn sich der Nebel aufs Gemüt legt
Der "Winter-Blues" sorgt für Stimmungsschwankungen – PNP befragt
Experten
am 26.01.2022 in der PNP
von Franz Danninger
Dunkelkammer Deutschland: Über diesem Winter hängen viele Wolken,
nur selten stechen Sonnentage durch das Grau. Der dunkelste Ort in
der Republik ist nur 130 Kilometer entfernt: Waldmünchen in der
Oberpfalz hat laut Bayerischem Rundfunk bislang nur 16 Prozent der
Sonnenstunden abbekommen, die normalerweise zu dieser Jahreszeit
anfallen sollen. Und die Aussichten für die nähere Zukunft bleiben
trüb.
Der ideale Nährboden also für eine wunderbare Winter-Depression. Ist
davon etwas zu spüren? Wie äußert sie sich?
Der Psychologe spricht von einer SAD, einer "saisonal abhängigen
Depression". Diese Störungen des Gefühlslebens können sich
vielfältig äußern: Erschöpfung, Energielosigkeit, extreme Müdigkeit,
vermehrtes Schlafbedürfnis bis hin zur Schlafsucht (Hypersomnie),
Unausgeglichenheit, gedrückte Stimmung, Gereiztheit,
Vernachlässigung der eigenen Person und sozialer Kontakte,
Konzentrationsstörungen, erhöhter Zuckerkonsum und in der Folge
Gewichtszunahme, Nervosität, Appetitmangel, Schlafstörungen oder
körperliche Beschwerden, die nicht auf organische Ursachen
zurückzuführen sind.
Kinder und Jugendliche können vom Dunkel-Blues genauso befallen
werden wie Erwachsene. "Am auffälligsten ist es im November und
komischerweise im März", spricht Reinhilde Galler aus viel
Erfahrung, denn die Chefin des Sonderpädagogischen Förderzentrums
beobachtet Kinder schon seit Jahrzehnten. Und das natürlich auch
besonders genau, denn die Hans-Bayerlein-Schule besuchen Kinder mit
besonders hohem Aufmerksamkeitsbedarf.
Und so hat Galler festgestellt, dass Verstimmungen im März verstärkt
auftreten. "Einige sind dann unkonzentriert und allgemein in
schlechter Verfassung – was komisch ist, weil ja im März alles
aufblüht." Das November-Tief dagegen entspreche der Erwartung.
Galler sieht aber auch andere Gründe für Stimmungs-Schwankungen:
"Bei den Kindern merkt man auch oft den Vollmond." Ihr Kollegium sei
aber so nah dran an ihren Schützlingen, dass sie aufkeimende
Verstimmungen schnell erkennen und "behandeln" könne.
"Behandeln" ist auch das tägliche Brot von Kinderarzt Dr. Georg
Handwerker. Woran erkennt er "Winter-Depression" bei Kindern und
Jugendlichen? Schlafstörungen können ein Hinweis sein, sagt er,
Niedergeschlagenheit natürlich "oder aber auch das Gegenteil, also
aggressives Verhalten".
Im ersten Schritt müsse die Ursache erforscht werden. In normalen
Zeiten stecke Leistungsdruck dahinter, denn zu dieser Jahreszeit
arbeiten Schüler auf das Halbjahres-Zeugnis hin. "Aktuell könnte
eine verlängerte Quarantäne-Situation dahinter stecken", sagt Dr.
Handwerker. Erst kürzlich habe er den Fall gehabt, dass ein Kind
drei Wochen lang aus Corona-Gründen (Kontaktperson usw.) nicht aus
dem Haus durfte. Sowas belastet.
Wie sehen Behandlungsmöglichkeiten aus? "Meistens keine
Medikamente", stellt der Arzt klar. Im Gegensatz zur klinisch
festgestellten Erwachsenen-Depression sei eine medikamentöse
Behandlung bei Kindern nur die ultima ratio. "Wichtig ist, die
Kinder ernst zu nehmen. Und oft hilft ihnen allein das Gespräch mit
dem Arzt."